Müssen Provinz-Städte mit provinzieller Planung zufrieden sein?

von | 3. Jan. 2019

Vor knapp einem Jahr fiel er: der Startschuss zur Entwicklung der Oberen Altstadt in Minden unter Bürgerbeteiligung. Am 3. Februar 2018 trafen sich interessierte Bürger und Bürgerinnen, um unter der Leitung der Stadtentwicklerfirma WoltersPartner, Coesfeld, in einem Workshop Ideen, Wünsche und Visionen für das Quartier auszuhecken.

Auf Basis des Bürger-Workshops werkelten die Stadtentwickler den Sommer über weiter. Das Ergebnis ihrer Mühen präsentierten sie der Öffentlichkeit am 30. Oktober 2018 Uhr in einer Bürgerversammlung in der Aula des Ratsgymnasiums am Königswall.

Anfang Dezember dann hatte der Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Minden die Ehre und bekam die Pläne gezeigt. Das Mindener Tageblatt berichtete am 12. Dezember darüber gleich in zwei Artikeln unter den Überschriften „Schwer realisierbare Projekte in der Oberen Altstadt“ und „Ein ambitionierter Rahmenplan für die Zukunft der Oberen Altstadt“ (beides Bezahl-Artikel hinter einer Paywall).

Angekündigt wurde außerdem, dass der „Rahmenplan Obere Altstadt“ bis Ende Februar 2019 beschlossen sein soll. Na, hoppla, bei so einem straffen Zeitplan darf man davon ausgehen, dass die präsentierten Pläne schon ganz nah am beschluss- und mehrheitsfähigen Endergebnis sind. Das klingt doch nach guter Arbeit – Chapeau!

Blaupausen der 90er als Antwort auf den rasanten Wandel der Gesellschaft im 21. Jahrhundert?

Ich war bei der öffentlichen Vorstellung im Ratsgymnasium persönlich anwesend. Und ich war (um mal höflich zu bleiben) gelinde gesagt enttäuscht von dem, was sich dort als Zukunft der Oberen Altstadt präsentierte.

Ein bunter Mix aus hier ein bisschen Bauen zum Wohnen, dort ein bisschen Bistro und Biergarten, da ein bisschen Bürgerwege und -plätzchen. Das Ganze in drei verschiedenen Varianten, mal mit mehr Wohnen, mal mit mehr Wegen, mal mit mehr Kultur- und Kreativszene, ganz nach Lust und Laune.

Mit Verlaub, ich weiß: Wir hatten 2018 einen heißen Sommer. Aber gab es wirklich keine kühlen Plätze mehr, an denen man mal in Ruhe hätte nachdenken können?

Auf mich wirkte das, was sich da Konzept nannte, wie Blaupausen aus den 90er-Jahren, die man einfach mal über die Mindener Altstadt geworfen hat. Als ob Minden ein Provinzstädtchen sei, in dem die Entscheider es nicht merken, wenn man ihnen provinzielle Pläne verkauft.

Beispiel Rampenloch: Wie irrwitzig die Idee vom Familienwohnen im ehemaligen Bordellquartier ist, hatten wir hier neulich schon erörtert. (Das Bild oben zeigt eine Fotomontage zum Thema.)

Für die Idee, im Zuge der Altstadt-Entwicklung generell Wohnraum zu schaffen, muss man wohl nicht unbedingt acht Semester studiert haben. Auch der Vorschlag, die Gefängnismauer zu öffnen und so das Rampenloch an die Innenstadt anzubinden, ist jetzt nicht unbedingt oscarverdächtig in seiner Offensichtlichkeit.

Dass Minden in Zukunft einen erhöhten Bedarf an Flohmärkten haben könnte, weshalb es sich lohnt, jetzt Parkplätze dafür anzulegen, ist bei mir persönlich noch nicht angekommen. Und ein von der Stadt initiiertes Kultur- und Kreativareal: Hat man je irgendwo erlebt, dass sich so etwas zu wirtschaftlich selbständigen, prosperierenden Einheiten entwickelt?

Hoffen wir auf einen Winter, der kühl genug zum Nachdenken ist – und Nachbessern

Was sich da Stadtplanungs-Konzept nennt, ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus mehr oder minder netten Einzelbausteinen. Irgendjemand hat dem Quartier ja ohnehin das Motto „Viertel der Vielfalt“ verpasst – was so viel wie alles und damit am Ende rein gar nichts bedeutet.

Ein echter roter Faden für die Obere Altstadt? Eine kühne Vision fürs Ganze? Ein Narrativ, das die besonderen Qualitäten der Altstadt hervorhebt? Ich gebe zu: Das hatte ich erwartet bei der Präsentation – und habe nichts davon entdecken können.

Bleibt zu hoffen, dass die verbleibenden Winterwochen bis zum Entscheid über den Rahmenplan kühl genug sind zum Nachdenken – und womöglich auch Nachbessern. Oder anderenfalls die Entscheider des Provinzstädtchens zeigen, was sie drauf haben, und sich keineswegs mit provinziellen Plänen zufriedengeben.

Mein unten wiedergegebener Leserbrief zum Thema Obere Altstadt erschien online am 21. Dezember 2018 auf mt.de (übrigens ohne Bezahlschranke), die

Leserbrief zum Artikel „Ein Quartier, vier Bereiche, zwölf Ideen“ im Mindener Tageblatt vom 12. Dezember 2018

Wie Blaupausen der 90er

Online veröffentlicht auf mt.de

Betr. Konzepte für die Obere Altstadt

Die Begeisterung über die stadtplanerischen Vorschläge für die Obere Altstadt kann ich nicht teilen. Ich habe die Präsentation der Konzepte von WoltersPartner, Coesfeld am 30. Oktober bei der zweiten Bürgerveranstaltung im Ratsgymnasium erlebt. Auf mich wirkten die Vorschläge wie Blaupausen aus den 90er-Jahren: hier ein bisschen Familienwohnen, dort ein bisschen Bürgerplatz, da ein bisschen Kneipe, Kunst, Kultur. Sind das die stadtplanerischen Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?

Immerhin schreiben wir demnächst 2019. Alles, was wir heute beginnen, wird frühestens Mitte der 2020er-Jahre wahr werden – und dann bis mindestens in die 2050er, 2060er Bestand haben. Derweil befindet sich unsere Gesellschaft in einem rasanten Wandel, der unser Wohnen, unser Arbeiten, unser gesamtes Miteinander grundlegend verändert: Digitalisierung, Mobilitätswandel, Energiewende, alternde Gesellschaft …

Vielleicht ist das alles in Minden, oder auch in Coesfeld, noch nicht direkt zu spüren. Aber ein Blick nach Berlin, Frankfurt, München zeigt uns: Diese Dinge stehen vor der Tür. In Hamburg spricht man in puncto Stadtentwicklung über eine „Vision 2050“, über Themen wie Clusterwohnen, flexible Wohn- und Arbeitsformen, Quartiershäuser, die Stadt vom Fußgänger her neu aufstellen …

Und wie lautet die Antwort in Minden darauf? „Neue Parkplätze an der Hahler Straße könnten dann auch für Flohmärkte genutzt werden.“ Kein Witz, der Vorschlag kam wirklich. E-Mobilität? Sharing Economy? Keine Rede davon. Ein kühner Entwurf fürs Quartier? Eine Vision, die ein lebendiges Narrativ für Jahrzehnte begründen könnte? Fehlanzeige. Kühn war höchstens die Idee, über fremde Grundstücke zu verfügen. Aber welcher Eigentümer lässt sich schon gerne sagen, dass er auf seinem Grundstück Wege für die Öffentlichkeit zu schaffen hat?

Nur weil unsere Stadt von vielen als provinziell betrachtet wird, darf sie sich noch lange nicht mit provinzieller Planung zufriedengeben. Ich hatte vor einigen Wochen im Zusammenhang mit der irrwitzigen Idee von Familienwohnen am Rampenloch schon gesagt: Es müssen bessere Konzepte auf den Tisch. Das gilt nicht nur fürs Rampenloch, sondern für die gesamte Obere Altstadt. Vielleicht ist, wer die Zukunft der Stadt sehen will, doch besser beraten mit einem Blick nach Hamburg, Kopenhagen, Wien oder Oslo – statt nach Coesfeld.

Astrid Engel, Minden

Astrid Engel