Rampenloch gleich HafenCity? Strukturelle Parallelen erkennen und strategisch nutzen

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Gastbeitrag des Instituts für Strategie & Planung

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Die Stadt Minden vergeigt eine historische Chance. Das Gelände am Rampenloch hätte das Potenzial zum Attraktionspunkt mit Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Statt diese Chance auch nur in Erwägung zu ziehen, entscheidet sich die Stadt für die denkbar schlichteste Variante mit der geringsten Strahlkraft.

„Offenbar hat man die Parallelen zu strukturell identischen Konstellationen nicht erkannt“, meint der Hamburger Strategieberater Edgar Wilkening. In einem Gastbeitrag vergleicht er das Areal am Rampenloch mit der Hamburger HafenCity. Und zeigt auf, welchen Nutzen Unternehmen und Organisationen verschenken, wenn sie strukturelle Parallelen nicht erkennen.

Strategieberater Edgar Wilkening

Edgar Wilkening lebt in Hamburg und Minden an der Weser. Als Strategie-Entwickler und Kommunikations-Experte bundesweit gefragt bei Marken und Unternehmen.

Kopf des in Gründung befindlichen Instituts für Strategie & Planung. Hat Anfang der Nullerjahre in verschiedenen Konstellationen am Entstehen der Hamburger HafenCity mitgewirkt.

E-Mail: ew@strategieundplanung.de

Erkennen Sie die Parallelen zwischen den beiden Objekten da im Bild?

Frage: Erkennen Sie eine Parallele zwischen den beiden Objekten im Bild – das auf dem roten Untergrund und das auf dem grünen?

Na, logisch. Erkennen selbst Kleinkinder. Beides Bananen.

Bei sichtbaren Objekten fällt es uns Menschen leicht, Parallelen zu erkennen. Deutlich schwerer tun wir uns dagegen, wenn die Parallelen struktureller Natur sind. Also immer dann, wenn Dinge oder Situationen optisch vollkommen unterschiedlich daherkommen, in Farbe, Form, Ausprägung, Größe – in ihrem Kern aber extrem ähnlich, wenn nicht sogar identisch sind.

Strukturelle Parallelen sind so schwer zu erkennen, weil sie eben nicht offensichtlich sind: unsichtbar für unser menschliches Auge. Was zur Folge hat, dass ihr Erkennen sehr viel höhere intellektuelle Leistungen erfordert als das Bananen-Beispiel da oben.

Organisationen, die in der Lage sind strukturelle Parallelen zu erkennen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, verschaffen sich einen immensen strategischen Vorteil. Um im simplen Bild oben zu bleiben: Wenn Ihnen die Bananen auf der grünen Fläche gehören, können Sie davon profitieren, welche Erfahrungen mit den Bananen auf der roten Fläche gemacht wurden.

Sie können Chancen erkennen (z.B.: hat Potenzial für Bananen-Milchshake), Risiken bewerten (z.B.: können matschig werden) und daraus Rückschlüsse ziehen, wie Sie mit Ihren Bananen am sinnvollsten, am effektivsten, am wirtschaftlichsten verfahren sollten – und was Sie dringend vermeiden müssen.

In Organisationen kann diese Kompetenz entscheiden über Riesenerfolg oder gravierenden Misserfolg

Das Besondere beim Verwerten struktureller Parallelen: Das gewonnene Know-how kann über Branchengrenzen, über Sortimentsgrenzen, auch über Stadtgrenzen hinweg übertragen und genutzt werden. Also selbst dann, wenn die äußerlich sichtbaren Gegebenheiten vollkommen andere sind.

Diese Kompetenz kann in Unternehmen ebenso wie in Städten den Unterschied ausmachen zwischen Erfolg und Misserfolg. Zwischen kontinuierlich hohem Ertrag – oder ewigem Draufzahlen. Wer strukturelle Parallelen nicht erkennt, verschenkt Wissen, verschenkt Vorsprung und verschenkt das gesamte Potenzial, das er daraus ziehen könnte.

Das scheint beim Mindener Rampenloch der Fall zu sein. Denn das Gelände weist eine ganz deutliche strukturelle Parallele auf zu einem anderen, sehr bekannten Areal in Deutschland: der Hamburger HafenCity.

Klingt verwegen? Nicht, wenn man genau hinschaut. Wenn man den Blick von dem für jedermann Offensichtlichen abwendet (HafenCity liegt an Elbe, Rampenloch nicht mal richtig an Weser; HafenCity ist viel größer als Rampenloch; und so weiter), sondern stattdessen auf die eher unsichtbaren, grundlegenden Strukturen hinter der Oberfläche schaut. Und da tun sich verblüffende Parallelen auf.

Praxisbeispiel für Nutzung struktureller Parallelen über Grenzen hinweg

Der Textileinzelhandel wechselt seit eh und je sein Sortiment mit den Jahreszeiten. Wer dieses strukturelle Muster nutzen möchte, muss dafür nicht in der Textilwirtschaft tätig sein.

Beispiel: Molkereien wie Landliebe haben das Muster erkannt und nutzen es jetzt, um ihr ganzjähriges Sortiment durch saisonale Varianten zu erweitern. Fast-Food-Ketten wie Mc Donalds ebenso.

Strukturelle Muster sind über praktisch alle Grenzen und in nahezu alle Bereiche übertragbar.

Mindener Rampenloch und Hamburger HafenCity haben strukturell identische Anlagen. Steile These oder strategische Chance?

Worauf basiert im Kern die herausragende Chance des Rampenloch-Areals für Minden? Auf einem historisch einmaligen Dreiklang, wie es Architektin Astrid Engel hier beschreibt. Zusammengefasst sind es diese drei Faktoren:

1. Das Areal am Rampenloch ist geschichtenträchtig und auf einzigartige Weise mit der Historie der Stadt Minden verbunden.

2. Die bisherige gewerbliche Nutzung ist eingeschlafen, das Gelände in einem Dornröschenschlaf versunken.

3. Die Stadt hat die strategisch wichtigen Grundstücke in ihrer Hand, um die weitere Entwicklung steuern zu können.

Diese sehr besondere Konstellation dreier Faktoren ist struktureller Natur. Und womöglich deshalb für die Stadt und ihre Planer so schwer zu erkennen.

Exakt die gleichen Voraussetzungen fanden sich nämlich in der HafenCity, heute einer der herausragenden Attraktionspunkte der Stadt Hamburg und einer ihrer wichtigsten Bausteine im internationalen Profil.

1. Das Areal HafenCity ist das frühere Hafengelände der Stadt. Als solches eng mit der Historie Hamburgs verbunden und prägend für das, was die Stadt heute repräsentiert.

2. Mit dem Boom der Containerlogistik wurde das alte Hafengelände immer unattraktiver. In den 70ern, 80ern fiel das Gelände zur Brache und versank in einem Dornröschenschlaf.

3. In den 90er Jahren fasste der damalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau den Entschluss, das Gelände neu zu entwickeln. Dazu bildete er eine Taskforce, die möglichst unbemerkt alle wichtigen Grundstücke in die Hand der Stadt Hamburg brachte, um die Entwicklung des Areals gezielt steuern zu können.

Verblüffende Parallelen: strukturell die gleiche Ausgangslage. Und das bedeutet: Man könnte all das Know-how, das Hamburg mit der HafenCity gewonnen hat, über die Stadtgrenzen hinweg transportieren – nach Minden.

Es bedeutet auch: Das, was Hamburg aus seinem Areal gemacht hat, nämlich einen international beachteten Attraktionspunkt, könnte man prinzipiell auch aus dem Mindener Rampenloch machen – im Maßstab entsprechend verkleinert und den naturgemäß anderen Gegebenheiten angepasst.

Will man einen Attraktionspunkt wie die HafenCity für Minden? Oder will man getrost darauf verzichten?

Nein, es bedeutet ausdrücklich nicht, dass man am Rampenloch eine „Weserphilharmonie“ bauen müsste oder etwas in der Art. So plump folgern nur schlichte Gemüter, die gerade mal auf Bananen-Niveau Parallelen erkennen.

Es bedeutet: dass man analysieren könnte, was die Stadt Hamburg aus ihrer Chance, aus ihrem Areal gemacht hat – wie sie es strategisch gemacht hat – auch welche Fehler sie gemacht hat – um dann in einem professionellen Prozess zu bewerten, ob man etwas prinzipiell Vergleichbares als Attraktionspunkt wie die HafenCity in Minden auch gerne hätte – und wie das aussehen könnte. Oder ob man darauf getrost verzichten will.

Die Chance ist da. Zum Greifen nah.

Edgar Wilkening