Stadt der vertanen Chancen? Minden arbeitet weiter daran

von | 20. Feb. 2019

So flach wie im Bild – so flach ist der Horizont hier wirklich?

„Bleibt zu hoffen, dass die Entscheider des Provinzstädtchens zeigen, dass sie sich nicht mit provinzieller Planung zufriedengeben“, waren meine Worte vor wenigen Wochen an dieser Stelle – hier nachzulesen in meinem Offenen Brief vom 3. Januar 2019.

Aber alles Hoffen und Bangen hat nichts genützt. Das müde Konzept einiger Stadtplaner aus Coesfeld hat niemanden wachgerüttelt. Jedenfalls nicht im „Ausschuss für Bauen, Umwelt und Verkehr“ der Stadt Minden.

Dort wurde in der Sitzung am 13. Februar 2019 die „Rahmenplanung Obere Altstadt – Quartier Königswall – Kampstraße – Pöttcherstraße“ als TOP 4 wie im Beschlussvorschlag formuliert mit zehn Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen durchgewunken. Zu entnehmen der „Drucksache Nr. 25/2019 1. Ergänzung“ der Stadtverwaltung Minden vom 14. Februar 2019.

Wieder mal hat die Stadt sich eine Gelegenheit, im wahrsten Sinne des Wortes, verbaut. Wieder mal eine Chance vertan. Dieses Mal sogar eine historische. Eine, die so wohl nie wieder kommen wird. Dabei waren die Voraussetzungen geradezu ideal. Alles hatte so gut angefangen. Was hätte daraus werden können! Und was, um Himmelswillen, ist dann schiefgegangen?

Eine historische Chance für die Stadt – ganz ohne Not verspielt

Die Obere Altstadt Mindens führt seit vielen Jahren ein Brachen-Dasein. Prima, dass die Stadt sich dieses Themas vor geraumer Zeit angenommen hat: Endlich sollte sich etwas ändern. Die Coesfelder Firma WoltersPartner erhielt die Beauftragung für ein Stadtentwicklungskonzept, die Bürger Mindens wurden zur Beteiligung eingeladen. Alles gut – sollte man meinen.

Bis zum Tag der Präsentation. Da gab es ein paar Entwürfe zu sehen, auf denen zwar „Stadtentwicklungskonzept“ draufstand, die aber wirkten wie Blaupausen aus den 90ern für das 21. Jahrhundert. Enttäuschend. Aber, na gut – geschenkt. Vielleicht hat Minden ja noch ein bisschen Zeit, bis das 21. Jahrhundert kommt. Hier gehen die Uhren ja öfter anders. Und ein paar alte Blaupausen reichen bis dahin vielleicht aus.

Grenzwertig wurde es allerdings, als man für das ehemalige Rotlicht-Quartier am Rampenloch eine neue Nutzung als Wohnbezirk vorschlug. Herrliches neues Wohnen für Familien und Kinder im Puffquartier sozusagen. „Handlungskonzept Wohnen“ nennt sich das im Planungs-Sprech des Entwicklungspapiers. Genau diesem Vorschlag ist der „Ausschuss für Bauen, Umwelt und Verkehr“ mit seinem Beschluss jetzt gefolgt.

Treffen wir uns am Nuttendenkmal? Oder an der Huren-Tafel?

Ob sich die Stadt in Zeiten von #metoo einen Gefallen tut, wenn Kinder jeden Tag am „Nuttendenkmal“ oder der „Gedenktafel zu Ehren der Huren“ vorbeikommen? Na, gut – moralisch-ethische Frage. Die möge, bitte, jeder für sich entscheiden. Vielleicht dauert es ja auch noch einige Zeit – siehe 21. Jahrhundert –, bis das Wort Hashtag nach Minden kommt.

Die historisch einmalige Chance, die vertan wurde, besteht in etwas anderem. Größerem. Handfestem. Einer absolut einzigartigen Konstellation von drei verschiedenen Fügungen, die fast wie zufällig am Rampenloch zusammenfallen. Und als Kombination eine Gelegenheit bieten, die jeder mit einem Horizont höher als Meeresspiegel beim Schopfe packen müsste – ganz gleich, ob er sich Stadtplaner nennt oder Stadtverordneter oder Bürger.

Der Offene Brief als PDF zum Download

Zum Abspeichern, Ausdrucken und Weiterleiten: der Offene Brief im Format DIN A4 hier als PDF-Datei zum Download. Dateigröße circa 170 kB.

Fügung Nr. 1
Weltweit einmalig: Rotlichtbetrieb auf Geheiß des preußischen Staates

Das Rampenloch-Areal ist außergewöhnlich geschichtsträchtiges, mehr noch: geschichtenträchtiges Gelände. Der frühere Rotlichtbezirk geht im Kern zurück auf Geheiß des preußischen Militärs. Der in Minden, ach, so verehrte Staat Preußen, hier zeigte er sich von einer ganz anderen, quasi menschelnden Seite. Und ordnete zum Wohle seiner Soldaten offiziell Prostitution an. 

So etwas dürfte einmalig gewesen sein in Deutschland, vielleicht sogar europa- oder weltweit. Dann wäre es eines der extrem wertvollen Alleinstellungsmerkmale, von denen andere Städte profitieren – so wie Hamburg vom Hafen, München von der Weißwurst und Wien vom Prater.

Und womöglich erzählen Areale wie das Rampenloch mehr und lebendiger vom staatlichen Regulierungswahn des alten Preußens als ein ganzes Geschwader Pickelhauben oder ein halbes Dutzend Preußenmuseen zusammen.

Stadtmarketing-Profis lecken sich jedenfalls die Finger danach. Weil sie wissen, wieviel Wirkung und Wahrnehmung sich aus solchem Potenzial schlagen lässt. Indem man es erst in Geschichten und dann in Wertschöpfung verwandelt. In anderen Städten jedenfalls wird schon aus deutlich weniger ein großes Ding gemacht.

Fügung Nr. 2
Der Rotlichtbetrieb ist am Ende – die Chance für eine neue Nutzung da

Anfang 2018 wurde der Rotlichtbetrieb am Rampenloch eingestellt. Offenbar mangels Nachfrage. Es gibt einfach nicht mehr genug preußisches Militär in der Stadt, um darauf heute noch eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

Mit dem Ausknipsen der letzten roten Laterne und dem Auszug der letzten Damen ergab sich ganz natürlich, dass der Weg frei war für eine neue Nutzung des Areals. Kein Gewerbetreibender, der seine Geschäfte durch neue Pläne gestört sehen würde. Keine Ladenbesitzer, die man auskaufen müsste. Annähernd der gesamte Straßenzug versank still und unscheinbar im Dornröschenschlaf. Und wartet darauf, wachgeküsst zu werden.

Kaum Altlasten, kaum Beschränkungen, kaum Vorgaben – was tun sich da für Möglichkeiten auf! Wie ein weißes Blatt Papier liegt das Areal da und lädt ein zu einem beherzten Neuanfang. Und klar: so wie jedes Blatt Papier seine Grenzen hat, so hat auch das Areal seine Grenzen. Denkmalschutz, Geschichte, Quartierscharakter, Traufenhöhen, angrenzende Areale, und, und, und.

Aber für intelligente Menschen, mehr noch für erfahrene Profis, sind das keine Beschränkungen, sondern Rahmenbedingungen. Innerhalb dieses Rahmens, innerhalb dieser Kanten des Blattes Papier – was für ein Potenzial liegt da im Herzen der Altstadt. Sichtbar für jeden, dessen Horizont nicht bei Wasserlinie aufhört.

Was für eine unglaublich tolle Chance für Planer, die Kompetenz und Lust haben aufs Pläneschmieden, Durchdenken, Ausprobieren, Neuarrangieren, Bessermachen. Die wirklich Lust haben aufs Wachküssen.

Fügung Nr. 3
Die Stadt Minden hat die strategisch wichtigen Grundstücke in ihrer Hand

Dafür verdient die Stadt Minden uneingeschränktes Lob: Als sich die Gelegenheit ergab, griff sie zu und brachte viele der entscheidenden Grundstücke am Rampenloch in ihren Besitz. Wie es dazu kam, welche Summen über den Tisch gingen – über die Hintergründe ist wenig bis nichts bekannt. Man hält sich bedeckt.

Trotzdem ein Glücksfall: Die strategisch wichtigen Grundstücke des Areals befinden sich heute nicht in der Hand eines dubiosen Investors oder einer anonymen Immobiliengesellschaft, sondern in den Händen der 82.000 Mindener Bürger – vertreten durch deren öffentliche Hand, die Stadt Minden.

Die Grundstücke wurden ausdrücklich im „Zwischenerwerb“ übernommen. Bedeutet: Die Stadt will nicht dauerhaft Eigentümer der Grundstücke bleiben. Sondern wird sie an geeignete Neubesitzer veräußern. Erste Voraussetzung dafür ist, dass deren Pläne für das Areal zu den Interessen der Mindener Bürger passen.

Im Prinzip ist damit ein Rahmen geschaffen für einen lebendigen Wettbewerb kreativer Vorschläge, Pläne, Ideen und Nutzungs-Optionen: Lasst uns das Beste aus dem Gelände am Rampenloch machen! Das Beste fürs Areal, fürs Quartier und für die ganze Stadt. Der Nutzen für die Gemeinschaft hat eine klare Chance gegenüber den Interessen windiger Immobilienheinis. Möge das bessere Konzept gewinnen!

So weit die Theorie. Aber Minden wäre nicht Minden, wenn es sich im entscheidenden Moment nicht doch noch selbst ein Bein stellen würde …

Eine wahrhaft einzigartige Konstellation, dieser wunderbare Dreiklang: historisches, geschichtenträchtiges Areal – zur Neunutzung in vollem Umfang „frei“ verfügbar – und dann auch noch im Eigentum der Stadt. Was für eine fantastische Ausgangslage! Woanders fängt man schon bei deutlich weniger an, sich die Hände zu reiben und große Pläne zu schmieden.

In anderen Städten wird schon mit deutlich weniger ein ganz großes Rad gedreht

Denn mal ehrlich: Bei einer solchen Konstellation ergeben sich Dutzende, Hunderte Möglichkeiten. Manche liegen auf der Hand – die fallen jedem sofort ein. Und manche liegen verborgener – da muss man gedanklich erst mal graben, schürfen, buddeln. Dafür sind Profis da.

Logisch, am Ende  muss jede Idee, jeder Plan, jedes Konzept, das realisiert werden will, zum Quartier passen, zur Stadt, muss auch wirtschaftlich passen. Das versteht sich von selbst.

Woanders werden in solcherart glücklichen Konstellationen echte Attraktionspunkte geschaffen. Herausragende Konzepte umgesetzt. Leuchttürme, deren Strahlkraft weit über das eigentliche Areal hinausgeht. Weit über die Stadt. Manchmal sogar bundesweit, vielleicht europaweit.

Und was fällt der Stadt Minden und ihren Coesfelder Planern ein, wenn sie einen derart historischen Dreiklang direkt vor ihrer Nase haben?

„Handlungskonzept Wohnen.“

Mehr nicht. Keine anderen Optionen. Keine anderen Szenarien. Keine weiteren Überlegungen. Keine Auswahl. Einfach Wohnen, Wohnen, Wohnen.

Wohnraum ist die Kartoffel der Immobilienwirtschaft: solide, anständig – und megastrunzlangweilig

Nun lässt sich gegen Wohnraum im Prinzip gar nicht viel sagen. Wohnraum ist so etwas wie die Kartoffel des Immobiliengewerbes: grundsolide, anständig, völlig in Ordnung.

Aber bedeutsam? Wegweisend? Herausragend? Spannend? Interessant? Voller Strahlkraft? Außenwirkung? Faszination? Attraktionskraft? Geschichtenträchtig?

Das, was am Rampenloch entstehen wird nach den Vorstellungen der Planer – und nun auch des Ausschusses, der das Konzept durchgewunken hat – dieses „Handlungskonzept Wohnen“, selbst wenn es ambitioniert geplant werden sollte, wird eine Strahlkraft haben, die gerade mal bis zur nächsten Gehwegkante reicht. Eine vertane Chance.

Wer sich in einer historisch derart einmaligen Konstellation ohne Not für die Kartoffel entscheidet, und das, ohne andere sinnvolle Optionen überhaupt zu erwägen, anzudenken, zu prüfen, einzufordern, anzumahnen, sich vorlegen zu lassen, der hat eine falsche Entscheidung getroffen – weil sie auf einer ungeeigneten Entscheidungsgrundlage getroffen wurde.

Er hat sich von einem Kartoffelbauern an der Nase herumführen lassen, der ihm erzählt, wie prima Kartoffeln sind – und dass keine Pizza existiert, keine Pasta, keine Bratwurst, erst recht keine Jakobsmuscheln oder Brathühnchen oder Steaks mit Salat, von Sterneküche hier ganz zu schweigen.

Letzte Chance, diesen historischen Fehler zu korrigieren: die Stadtverordnetenversammlung am 28.02.2019

Dass der Kartoffelbauer nichts anderes liefern kann oder liefern will – sei‘s drum. Das ist sein Horizont. Dafür ist er eben Kartoffelbauer. Dass die Stadt ihm das aber abnimmt, statt über den Kartoffeltellerrand hinauszuschauen – das ist fahrlässig. Aus einer historischen Chance wird so auf städtischen Beschluss ein historischer Fehler.

Eine schlechte Entscheidung für das Rampenloch, für die ganze Stadt und für die 82.000 Mindener, denen die Grundstücke aktuell gehören. Denn die werden dafür bezahlen müssen. In mannigfaltiger Hinsicht. Am Ende auch finanziell und wirtschaftlich. Weil ihnen ein kostbarer, großer potenzieller Eckstein im Profil ihrer Stadt flöten geht, der einen bedeutenden Wert hätte entfalten können. Mehr Wert jedenfalls als ein Sack Kartoffeln.

Letzte Chance, diesen historischen Fehler zu stoppen: die Stadtverordnetenversammlung am 28. Februar 2019. Dort soll laut Beschlussvorlage als TOP 8 final über das Konzept entschieden werden.

Astrid Engel