Was würde Mindens Stadtplanung in genau dieser Situation sagen?

von | Jul 19, 2019

In Minden steht man oftmals da und blickt neidisch rüber nach Hamburg: Ja, da ist alles besser – da ist alles schöner – alles größer – da läuft alles wie von alleine …

Stimmt ja gar nicht!

In Hamburg gibt es ein stadtplanerisches Projekt, das gerade ins Stolpern gekommen ist. Und es ist bemerkenswert, wie Hamburgs Stadtplaner darauf reagieren.

Spannende Frage: Wenn es eine vergleichbare Situation in Minden gäbe – würde die hiesige Stadtplanung eine ebenso präzise und eindeutige Aussage treffen? Oder würde sie sich hinter unverbindliches Nebelmaschinen-Gesabbel zurückziehen?

Womöglich ist es genau DAS, was den tatsächlichen Unterschied zwischen Minden und Hamburg ausmacht: das klarere Denken der entscheidenden Köpfe.

Um was geht’s genau? In Hamburg soll das frühere Areal der Holsten-Brauerei neu genutzt werden. Mitten in der Stadt gelegen soll dort, wo früher Bier gebraut wurde, ein neuer Stadtteil entstehen. Die Pläne dafür sind längst unter Dach und Fach, der Investor SSN Development will loslegen – alles scheint nach Plan zu laufen.

Bis plötzlich auffällt, dass auf dem Gelände ein schutzwürdiges Baudenkmal steht: die Schwankhalle. Der Hamburger Denkmalschutz hatte einen peinlichen Fehler gemacht und den Bau versehentlich in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts datiert: „Kann weg, die Halle.“

Tatsächlich jedoch stammt die Halle aus dem Jahr 1911 und repräsentiert eines der ersten Gebäude, die in einer seinerzeit vollkommen neuen Bauweise und mit völlig neuem Material realisiert wurden: Eisenbetonbau.

„Absolut schutzwürdig“, plädiert der Architektur-Experte Sven Bardua, der auf die Fehldatierung hinweist. Und bekommt recht. Der Hamburger Denkmalschutz rudert zurück: „Haben wir Mist gebaut – kann doch nicht weg, die Halle.“

So weit, so peinlich. Aber für die Planer ergibt sich daraus ein Riesenproblem. Denn die Halle sollte eigentlich einer zentralen Zufahrt zum gesamten Gelände weichen. Daraus wird jetzt nichts. Damit sind alle Pläne für das Areal, die längst unter Dach und Fach waren, erstmal hinfällig.

Und nun wird’s spannend! Denn wie reagiert der verantwortliche Stadtplaner und Architekt André Poitiers auf die neue Entwicklung? Garstig, unwirsch, ablehnend, polternd? Hier – Original-Wortlaut aus einem Gespräch mit „ZEIT:Hamburg“.

"Umdenken ist kein Problem, sondern eine Chance, einen Entwurf zu überdenken. Und ihn auch mal neu zu denken. Das heißt: Es ist auch eine Chance, ihn besser zu machen."

André Poitiers | Hamburger Stadtplaner und Architekt
Quelle: „Denkmalschutz hat Bedenken beim Holsten-Areal“ von Friederike Lübke in ZEIT-Elbvertiefung vom 18. Juli 2019

Tolles Statement, finde ich! Klug, klipp und klar, konstruktiv, nach vorne gewandt, getreu dem Motto „Das Bessere ist der Feind des Guten“. Solche Kollegen in Stadtplanung und Architektur bekommen meinen vollen persönlichen Respekt.

Und jetzt wird’s lustig! Denn übertragen wir das Ganze mal nach Minden.

Angenommen, hier hätte jemand einen Plan gefasst, der hinfällig ist, sagen wir mal am Rampenloch, hinfällig vielleicht nicht aus Denkmalschutzgründen, sondern weil der gefasste Plan uninspiriert, lustlos und historisch falsch ist – ist es vorstellbar, dass in Minden ein Verantwortlicher genug Rückgrat hätte, um sich hinzustellen und klipp und klar zu sagen:

"Wir haben uns vergaloppiert am Rampenloch. Aber Umdenken ist kein Problem, sondern eine Chance, den Entwurf zu überdenken. Und ihn auch mal neu zu denken. Das heißt: Es ist auch eine Chance, ihn besser zu machen."

Ich kann niemanden erkennen in Minden, der Rückgrat genug hätte, so etwas zu sagen. Falls Sie jemanden wissen sollten in Politik oder Verwaltung, dem Sie ein solches Statement zutrauen – helfen Sie mir bitte auf die Sprünge.

Zumal es ja weiter geht im Gespräch mit der ZEIT. Denn der verantwortliche Stadtplaner und Architekt hat noch mehr Bemerkenswertes geäußert. Hier:

"Wenn man die Schwenkhalle erhalten will, dann sollte man dies nutzen, um etwas über ihre Geschichte mitzuteilen, ihre Einzigartigkeit oder das Besondere für den Betrachter erkennbar zu machen."

André Poitiers | Hamburger Stadtplaner und Architekt
Quelle: „Denkmalschutz hat Bedenken beim Holsten-Areal“ von Friederike Lübke in ZEIT-Elbvertiefung vom 18. Juli 2019

Ja, natürlich geht man genau so mit historischem Bestand um! Vollkommen richtig, was der Kollege da sagt. Unterschreibe ich zu hundert Prozent. 

Und jetzt schauen Sie mal, wie das gleiche Statement in Minden lauten würde beim Beispiel Rampenloch:

"Wenn man das Rampenloch erhalten will, dann sollte man dies nutzen, um etwas über seine Geschichte mitzuteilen, seine Einzigartigkeit oder das Besondere für den Betrachter erkennbar zu machen."

Es ist exakt das, worauf ich hier seit über einem Jahr hinweise. Wenn dieser Ort Rampenloch, diese Adresse, dieses Areal bestehen bleiben soll, dann doch bitte so, dass es erzählt, was es war. Dass es seine Geschichte widerspiegelt. Dass es nachvollziehbar bleibt für uns Heutige ebenso wie für künftige Generationen.

Wohlgemerkt: Das ist alles nichts weltbewegend Neues. Das ist gerade mal das kleine Einmaleins von Stadtplanung und Architektur. Mehr nicht.

Und doch ist es in Minden genau das, was Politik und Verwaltung eben nicht wollen, eben nicht unterstützen, eben nicht einfordern.

Es ist genau das, was die versammelte Riege von Stadtverordneten kategorisch abgelehnt hat, als sie am 28. Februar 2019 ein gesichts- und geschichtsloses Nullachtfuffzehn-Konzept mit 45 Ja-Stimmen durchgewunken hat.

Schauen wir nochmal kurz, was der Hamburger Verantwortliche dazu sagt:

"Es hat sich gezeigt: Wir haben in Hamburg immer mehr bereut, Gebäude abgerissen zu haben, als dass wir ihren Erhalt bedauert haben."

André Poitiers | Hamburger Stadtplaner und Architekt
Quelle: „Denkmalschutz hat Bedenken beim Holsten-Areal“ von Friederike Lübke in ZEIT-Elbvertiefung vom 18. Juli 2019

So klug, so umsichtig, so weise spricht man in Hamburg, wenn man für Stadtplanung verantwortlich zeichnet. Wäre ein solch kluger Satz auch denkbar von einem Verantwortlichen in Minden? Entscheiden Sie das bitte selbst …

Für mich zeigt sich genau hier der wahre Unterschied zwischen Hamburg und Minden. Es ist nicht die Größe der Stadt, nicht die Einwohnerzahl, nicht die Wirtschaftskraft, nicht der Glamour … Es ist die Klugheit der Menschen in Entscheidungspositionen, die den Unterschied macht.

Das Problem in Minden ist nicht die Stadt selbst. Das Problem befindet sich in den Köpfen.

Den vollständigen Bericht, aus dem alle hier aufgeführten Zitate stammen, finden Sie hier auf der Website der ZEIT im Elbvertiefung-Archiv.

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