4 Sätze, die nie gesagt werden in Minden – und gerade deshalb umso mehr sagen
Vollmundige Verlautbarungen und große Reden sind oft wie Eisberge im Polarmeer: Vieles ist sichtbar – aber der größte, der wesentliche Teil des Ganzen bleibt unterhalb der Oberfläche verborgen.
Deshalb sind genau die Sätze, die gerade nicht gesagt werden, meist deutlich vielsagender als viele große Worte.
Offenbar gibt es in Minden genug Interessenvertreter, denen daran gelegen ist, die wesentlichen Dinge rund um die Neuentwicklung des städtischen Areals am Rampenloch nicht zur Sprache zu bringen. Sondern eisberggleich unter der Oberfläche zu lassen.
Hier kommen sie: vier Sätze, die kein Politiker jemals gesagt hat – kein Bürgermeister, kein Stadtrat, kein Ausschuss, kein Beigeordneter und auch sonst kein öffentlicher Repräsentant.
Vier ungesagte Sätze, die gerade deshalb umso mehr darüber sagen, wes Geistes Kind diese Herrschaften sind.
Edgar Wilkening lebt in Minden an der Weser. Leiter des Instituts für Strategie & Planung.
Schreiben Sie Edgar Wilkening eine E-Mail: ew@strategieundplanung.de
Nummer Eins der Sätze, die nie gesagt werden – und deshalb umso mehr sagen
„Soziales, bezahlbares Wohnen auf einem der teuersten Filetstücke der Stadt, das rechnet sich folgendermaßen: …“
Nach diesem Satz müsste eine Erläuterung folgen. Die aber gibt es nicht. Jedenfalls keine, die auch nur halbwegs einleuchtend klingt. Deshalb wird der Satz nie gesagt.
Denn der Plan ist haarsträubend, den Mindens Verwaltung ausgeheckt und Mindens Politik abgenickt hat: Wohnen am Rampenloch – bezahlbar natürlich – für junge Familien, kleine Angestellte, Studenten. Klingt erstmal ehrenwert. Kann keiner was gegen haben – außer man rechnet das durch.
Der irrwitzige Wunsch vom billigen Wohnen am Rampenloch: ein Mantra, das Mindens Stadträte, Ausschüsse und Beigeordnete nicht müde werden vor sich hin zu murmeln.
„Wird der Sache gerecht“, posaunte erst neulich ein SPD-Häuptling im Haupt- und Finanzausschuss. Da wollte sich die CDU nicht lumpen lassen und trompetete gleich hinterher: „CDU schließt sich vollinhaltlich an.“ (Beides Originalzitate aus der HFA-Sitzung vom 21.11.2019.)
Studentenwohnheim am Scharn? Sozialer Wohnungsbau an der Bäckerstraße?
Was dabei nie angesprochen wird: Wie soll sich das jemals rechnen? Bezahlbares, soziales Wohnen auf einem der teuersten Filetstücke, die jemals in Minden gehandelt wurden – nämlich 500 Euro pro Quadratmeter für Grund und Boden!
Der SPD-Posauner sagt nichts dazu. Der CDU-Trompeter bleibt ebenso still. Fast muss man froh sein, dass die zwei mal die Luft anhalten, diese beiden Heißluftgebläse ihrer Fraktionen. Können wir schnell ein paar Fakten einwerfen.
In Porta, Hille, Petershagen gibt es Baugrund schon für ein Zehntel, teilweise ein Sechzehntel: dreißig, manchmal fünfzig Euro der Quadratmeter. Und trotzdem bleibt es selbst dort schwer, bezahlbaren Wohnraum für Gering- und Mittelverdiener zu schaffen.
500 Euro/m² am Rampenloch – das ist mehr als das Dreifache des Preises, den das Bodenrichtwerte-Portale des Landes NRW für dieses Quartier ausweist. Und spielt in der gleichen Liga wie absolute Top-Grundstücke an der Bäckerstraße und am Scharn.
Posauner und Trompeter in Mindens Musikantenstadel: dicke Backen und viel heiße Luft
Schnell der Plausibilitäts-Check: Studenten-Wohnheim in Mindens Top-Lage am Scharn – klingt das irgendwie einleuchtend für Sie? Sozialer Wohnungsbau direkt an der teuren Bäckerstraße?
Für das große Blasmusik-Orchester, das in Minden den politischen Ton angibt, alles nicht der Rede wert. Was also sagt es uns, wenn keiner der Verantwortlichen den Satz da oben sagt und wie der haarsträubende Plan aufgehen soll?
Dass die Posauner und Trompeter in Mindens Musikantenstadel außer dicken Backen und heißer Luft nicht viel zwischen den Ohren haben? Dass ihnen der Marsch geblasen gehört?
Höchste Zeit zum Durchlüften in Mindens Politik und Verwaltung, sagt uns das!
Nummer Zwei der Sätze, die nie gesagt werden – und deshalb umso mehr sagen
„Das Rampenloch darf kein Ort für ein paar wenige werden. Sondern muss allen Mindenern Aufenthaltsqualität bieten.“
Noch so ein Statement, das wie der unsichtbare Teil eines Eisbergs niemals in der Öffentlichkeit auftaucht, nicht von offiziellen Repräsentanten der Stadt.
Die sind so vernarrt in ihren tumben Plan, das Rampenloch-Areal zwei, drei Handvoll Menschen zum Wohnen zu überlassen, dass ihnen ein Satz wie „Das Rampenloch könnte ein Ort für alle Mindener werden“ niemals über die Lippen kommen würde.
Dabei befindet sich kaum ein beplanbares Areal zentraler im Herzen der Stadt. Hier könnte Leben pulsieren, hier könnten Cafés zum Verweilen einladen, hier könnten junge Menschen auf der Straße unterwegs sein, hier könnten Besucher und Touristen flanieren, hier könnte Zukunft entstehen.
Es könnte ein vielfältiger, bunter, einladender Ort von wahrhaft urbaner Qualität inmitten der Oberen Altstadt sein. Grauenhafte Vorstellung offenbar für Mindens Stadtplaner und Politiker.
„Bitte kein unnötiges Leben in unserer Stadt! Wir haben doch schon alles getan, um Kinos zu vergrätzen, die Kneipenkultur klein zu halten und den Einzelhandel zu ruinieren, wo wir nur können. Und jetzt soll sich das Rampenloch zum Anziehungspunkt für Menschen entwickeln?“
Es schert sie einen Dreck, was wirklich wird aus unserer Stadt.
Dann doch lieber Wohnstraße für zwei, drei Handvoll Menschen. Voraussichtlich Spitzenverdiener. Andere werden es sich kaum leisten können. Das ist ganz nach dem Geschmack der Verantwortlichen. Denn jetzt mal Butter bei die Fische: Wie sieht so eine Wohnstraße den lieben langen Tag aus?
Morgens steigen ein paar Kinder ins Elterntaxi, Mami und Papi fahren weiter zur Arbeit, abends kommt man heim und trägt rasch die Wez-Tüte ins Haus. Dazwischen? Aus die Maus. Ein DHL-Bote klingelt an verwaisten Türen und schmeißt Kärtchen in Briefkästen. Ab und an noch die Müllabfuhr – das war’s. Tote Hose.
Leben? Passanten? Menschen? Treiben? Urbane Lebensqualität? Null! Das ist die wahre Vision von Mindens Planern und Politikern. Sonst hätte mindestens einer von ihnen längst Sätze gesagt wie den da oben.
Nummer Drei der Sätze, die nie gesagt werden – und deshalb umso mehr sagen
„Das historische Narrativ des Rampenlochs ist eine einzigartige Chance. Deshalb muss es beim Neuplanen unbedingt berücksichtigt werden.“
Der dritte große Eisberg, der in Mindens trüber Politiksuppe dümpelt und dessen wichtigster Teil nie ausgesprochen wird: Das Rampenloch ist ein historisch bedeutsamer Ort, dessen Vermächtnis es bei einer Neunutzung zu wahren gilt. Denn hier wurde preußische Geschichte geschrieben. Eine Geschichte von Verantwortung, Weitblick, Mut und Tatkraft.
Ernst Michael von Schwichow. Seinerzeit Festungskommandant. Ein Name, den die meisten Mindener Politiker wohl nur noch kennen, weil sie ihre grauslichen Wahlplakate am Schwichowwall aufgehängt haben wollen.
Hochrangiger Repräsentant des Staates, Anfang des 19. Jahrhunderts. Er übernimmt Verantwortung zum Schutz seiner Leute, zum Schutz der Bevölkerung. Und findet eine sinnvolle, praktikable Lösung – seinerzeit weltweit erstmals umgesetzt in Minden – abgesegnet aus höchsten Regierungskreisen Berlins – und heute bundesweit praktiziert.
Minden als Innovationsstandort, als Vorreiter, als Wegbereiter für andere Städte. Was für eine Geschichte! Für Mindens heutige Politiker-Kaste offenbar viel zu eng mit „moralischer Integrität“ und „Übernehmen von Verantwortung“ verbunden, als dass man damit gesehen werden möchte.
Wer will schon jeden Tag an seine eigene moralische Inkompetenz erinnert werden?
Wem der eigene moralische Kompass abhanden gekommen ist und wer sein Fähnchen wahllos in jeden beliebigen Wind hängt, dem wird natürlich unbehaglich angesichts heroisch anmutender Heldenfiguren der Vergangenheit, die offenbar all das hatten, was Menschen sich heute von öffentlichen Repräsentanten zwar wünschen, aber selten bekommen: Klarheit im Denken, Integrität im Bewerten, Mut im Entscheiden, Umsicht im Handeln, Weitblick im Umsetzen …
Ist das der Grund, warum bis heute kein einziger Repräsentant der Stadt den Satz da oben ausgesprochen hat? Warum alles versucht wird, das besondere Narrativ des Rampenlochs und seine historische Chance für Minden eisberggleich unter der Oberfläche zu halten?
Nummer Vier der Sätze, die nie gesagt werden – und deshalb umso mehr sagen
„Es gibt seit Monaten einen qualifizierten Gegenvorschlag für einen besseren Kriterienkatalog als den der Verwaltung.“
Diesen Satz kann niemand Offizielles sagen! Dass aus bürgerschaftlichem Engagement ein hochqualifizierter Kriterienkatalog entstanden ist zur Neubeplanung des Rampenloch-Areals, der klüger und sinnvoller ist als der von Verwaltungsseite erstellte quasi offizielle Kriterienkatalog der Stadt Minden – das ist vollkommen unaussprechlich.
Kann man vielleicht denken, so was. Und wird wohl auch oft gedacht. Selbst in der Verwaltung. Entspricht ja durchaus den Tatsachen. Aber aussprechen darf man diese eigene Bankrotterklärung selbstverständlich nicht. Denn was ist passiert?
Die Stadt Minden will das stadteigene Areal am Rampenloch im sogenannten „Konzeptvergabe-Verfahren“ an den Investor mit dem besten Konzept übergeben. Um den zu ermitteln, wurde ein Kriterienkatalog aufgelegt, der Anforderungen definiert. Dabei wurde mehrfach gepatzt. Dass der Katalog das Risiko einer katastrophalen Totalschaden-Logik beinhaltet, war schon mehrfach Thema.
Außerdem jede Menge weitere Fehler, zum Beispiel den, das historische Narrativ des Rampenlochs als entscheidenden Faktor nicht im mindesten auch nur zu erwähnen. All diese Unzulänglichkeiten des Katalogs mündeten in eine Initiative der Quartierplaner für einen besseren, sinnvolleren, klügeren Kriterienkatalog.
Der wurde Anfang November 2019 vorgelegt und steht hier jedermann öffentlich zur Einsicht zur Verfügung. Bürgerschaftliches Engagement auf höchstem Niveau. Darüber spricht natürlich niemand gerne: dass ein paar Bürger etwas Besseres auf die Beine stellen als hochbezahlte Fachkräfte der Verwaltung in wochenlanger Arbeit. Und deshalb bleibt auch dieser Satz, bei allem wahren Kern, vollkommen unausgesprochen.
Unterm Strich vier ganz unterschiedliche Sätze, die nie ausgesprochen werden und wie Eisberge im politischen Fahrwasser der Stadt Minden treiben. Eine bizarr geschwätzige Sprachlosigkeit, die man wohl als Ausdruck fehlenden politischen Gestaltungswillens und fehlender Kompetenzen werten muss.
Mindens Bürger tun gut daran zu überlegen, ob ihnen diese geschwätzig sprachlosen Figuren kompetent genug erscheinen, um ernsthaft die Geschicke der Stadt zu leiten. Der 13. September 2020 wird ein prima Tag für eine diesbezügliche Meinungsbekundung.
Konzeptvergabe ist ein erstklassiges stadtplanerisches Werkzeug
Vorausgesetzt, man setzt es richtig ein. Sonst bewirkt man glatt das Gegenteil: zum Beispiel durch ungeeignete Vergabekriterien, wie es der Stadt Minden beim historischen Rampenloch passiert ist.
Elfmeter für Mindens Politik in Sachen Stadtentwicklung
Wer im Fußball nicht weiß, was ein Elfmeter ist und wie man damit umzugehen hat – der gehört runter vom Feld. Genauso, wenn Politik einen städtebaulichen Elfmeter vor die Füße gelegt bekommt und ihn nicht erkennt: Runter vom Platz!
Adam Riese gibt der Stadt Minden schallende Ohrfeige
Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil. Die höchsten Grundstückspreise der Stadt und dann sozialer Wohnungsbau: Wie soll das gehen?, fragt nicht nur Adam Riese.